vorgestern ist mein Kater Franz verstorben, in der Narkose während einer an sich harmlosen Zahnbehandlung. Er war bis Dienstag gesund und munter. Mittwoch früh fiel mir auf, dass er die Schnauze offen hatte und speichelte. Als er futtern wollte ist er zurückgeschreckt und hat sich heftig mit der Pfote die Schnauze gerieben. Abends, als ich von der Arbeit kam, sah er furchtbar aus: Schnauze offen, total vollgesabbert, die Zunge hing raus und er hat furchtbar gestunken. Ich bin dann sofort mit ihm zum tierärztlichen Notdienst. Nach der Untersuchung meinte die Ärztin, er habe sich den Kiefer verrenkt. Am nächsten Morgen könnte das unter Narkose relativ einfach behoben werden. Vormittags dann ein Anruf: mit dem Kiefer wäre doch alles ok, aber Franz hat einen losen Fangzahn, der sich quergestellt hat und so die "Maulsperre" sowie üble Zahnschmerzen verursachte. Es müssten auch noch ein paar weitere Zähne raus. Ich war froh, dass es nichts schlimmeres war, gab mein ok und 20 Minuten später kam der nächste Anruf, Franz sei "während der Narkose plötzlich gestorben". Als Erklärung wurden mir ein paar "Vielleichts" angeboten: vielleicht war Franz ja doch deutlich älter als angenommen (bestimmt nicht!)... vielleicht hatte er einen Herzfehler (glaub ich nicht)... vielleicht hätte er doch noch eine Krankheit oder Verletzung gehabt, die "man" nicht erkennen konnte (Franz war bis dahin kerngesund, und was wäre das denn für eine Diagnostik, die sowas nicht erkennen kann?)... Ich wandte dann ein, wenn wir schon bei "Vielleichts" sind, dass ja "vielleicht" auch mit der Narkose was schiefgegangen ist, was mir am wahrscheinlichsten erscheint. Das kam nicht gut an und der weitere Verlauf, bis ich Franz dann endlich an einem seiner Lieblingsplätze begraben konnte, war ziemlich unerfreulich, tut hier aber nichts zur Sache.
Das ist sehr traurig, tragisch und eigentlich schon schlimm genug, aber mein Hauptproblem an der Sache, welches ich hier zur Diskussion stellen möchte, geht viel tiefer und macht mich im Moment richtig fertig. Um es angemessen darstellen zu können muss ich erstmal Franzes Vorgeschichte zusammenfassen:
Franz habe ich letztes Jahr am 20.Mai aus dem hiesigen Tierheim übernommen. Er ist als völlig verwahrloster etwa zweijähriger Streuner dort vier Jahre zuvor aufgenommen worden und hat die ganze Zeit in einem Raum mit drei Artgenossen gelebt. Mit Menschen hatte es dieses Katzenquartett nicht so, aber untereinander kamen sie gut klar. Ich habe ihn bewusst ausgewählt, wollte einem bisher Unglücklichen die Chance auf ein gutes Katerleben geben. Mir war schon klar, dass es nicht einfach wird, ihn zu "sozialisieren" und so war es dann auch. Die ersten Wochen hat er sich nur versteckt, total ängstlich und schreckhaft, kam nur zum futtern des nachts mal raus oder wenn er aufs Klo musste. In einem langen Prozess, mit viel Geduld und Liebe, wurde er dann ganz vorsichtig zutraulicher.Als er Freigang bekam, traute er sich erst nicht raus, dann wochenlang nicht wieder rein... Erst nach fünf Monaten war er bereit, sich streicheln zu lassen - dann aber plötzlich und mit "Wucht". An einem bestimmten Punkt hat er sich dazu entschlossen, mir sein Katervertrauen zu schenken, und ab da war er wie ausgewechselt. Ich war total verblüfft, zu welch leidenschaftlicher Katerliebe er fähig war. Ausgiebiges streicheln, massieren, "wilde Kämpfe" (aber ohne Krallen und mit ganz zärtlichen Bissen) waren von da an auf der Tagesordnung. Besonders toll war, was er so alles zu vermelden hatte. Was für ein "Schnacker"! Wenn ich nach Hause kam und mit dem Schlüsselbund klöterte kam er höchst erfreut und schon aus der Ferne laut maunzend an. Freudentänze und Anfeuerungsrufe beim füttern waren ganz grosses Katerkino. Wenn er von draussen reinkam hatte er immer was zu "erzählen". Wir konnten uns richtig "unterhalten" und hatten beide viel Spaß dabei. Und geschnurrt hat er, wenn ich ihn nur ansah oder er es sich in meiner Nähe gemütlich gemacht hat. Franz hat sogar im Schlaf geschnurrt (und beim futtern auch)... er hat mir zuletzt sogar Mäuse geschenkt, die er sonst draussen an Ort und Stelle sofort vertilgt hatte. Kurzum, Franz war zum ersten mal in seinem Leben glücklich, brauchte keine Angst mehr haben - und er hat mir vertraut und mich geliebt. Ich ihn auch. Ich habe ihm immer wieder gesagt, wie ich mich freue, dass er jetzt ein Zuhause hat und nie wieder Angst haben muss...
Mittwoch Abend musste er dann erleben, dass ich mit ihm nicht so schmusen mochte wie sonst (weil er so stank und aussah), ihn stattdessen überrumpelte, am Nacken packte und ihn - leider nicht ganz gewaltfrei, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen - in seine Box packte und den Deckel schloss. Franz hat herzerweichend "geweint", aber es musste ja sein. Dann mit dem Taxi zum Tierarzt, wobei er ganz still wurde. Und jetzt kommt der Punkt, den ich mir nicht verzeihen kann:
Nach der Diagnose "verrenkter Kiefer" (also nichts wirklich gefährliches) und der Versorgung mit Schmerzmittel und Antibiotikum wollte ich Franz eigentlich wieder mit nach Hause nehmen, um ihm am nächsten Morgen dem Tierarzt meines Vertrauens zur Weiterbehandlung zuzuführen. Ich habe mich jedoch "bequatschen" lassen, ihn über Nacht in der Praxis zu lassen. "Sie bekommen ihn morgen früh um zehn wieder, ist alles nicht so schlimm, die paar Stunden wird er schon überstehen, überlegen Sie mal, welchen Streß das macht, wenn er morgen früh nochmal eingefangen und transportiert werden muss, die Behandlung sollte hier auch zu Ende geführt werden, Sie brauchen sich keine Sorgen machen" - BlaBlaBla...
Mein letztes Bild des noch lebenden Franzes ist, wie er eng zusammengekauert in seiner Box auf dem Behandlungstisch hockte und mich angstvoll ansah, als ich ihm zum Abschied den Kopf kraulte. Dieses Bild werde ich jetzt nicht mehr los. Ich fühle mich übelst schuldig, in diesem Moment nicht gesagt zu haben "Bis hierhin erstmal Danke, aber wir düsen jetzt mal los nach Hause" oder sowas. Ich hätte auf meine innere Stimme hören sollen. Statt dessen habe ich gedacht, na prima, das ist ja einfacher als befürchtet, morgen Mittag ist alles wieder gut... Wie es Franz dabei ging, hatte ich nicht im Blick. Für Franz muss eine Welt - seine Welt! - zusammengebrochen sein, als ich ging ohne ihn mitzunehmen. So musste er seine letzten Stunden doch wieder in Angst verbringen, alleine und nicht mehr Zuhause, wo er sich doch so wohlgefühlt hat. Womöglich hat er sich "ausgesetzt" gefühlt. Er wird sehr traurig gewesen sein, sehr ängstlich, und das alles noch zusätzlich zu den Empfindungen, die so eine Erkrankung mit sich bringt. Ich halte es für möglich, dass dieser spezielle Stress, plötzlich wieder "heimatlos und ungeliebt" zu sein, dazu beigetragen hat, dass Franz seine Behandlung nicht überlebte. Vielleicht hat er einfach "aufgegeben"... Ich habe eine fatale Fehlentscheidung getroffen, und das fühlt sich ganz ganz mies an. Ich hätte ihn nicht da lassen dürfen!
Hätte ich ihn mit nach Hause genommen, wäre Franz höchstens irritiert gewesen, dass die Katzenklappe zu ist (rausgelassen hätte ich ihn ja nicht, bis das Problem gelöst ist). Wir wären am nächsten Morgen zu unserem Tierarzt gegangen - und ich hätte dabei sein können, mitreden, Beistand leisten (mir ist auch erst im Nachhinein aufgegangen, dass ich mich selbst aus dem weiteren Verlauf ausgeschlossen habe, indem ich Franz dort zurückliess) Das hätte Franz sicher besser gefallen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass bei Herrn Kreime (ich nenne hier den Namen, weil der wirklich gut ist -> bester TA in Verden!) die Behandlung erfolgreicher verlaufen wäre.
Mein Problem ist, dass ich mich heftig schuldig fühle, verursacht zu haben, dass Franz in Angst, Verwirrung, Trauer und womöglich Enttäuschung, was mich betrifft, seine letzte Zeit auf Erden verbracht hat. Durch ein einfaches "Nein" an der richtigen Stelle hätte ich ihm das ersparen können. Er würde jetzt, wenn auch um ein paar Zähne ärmer, vielleicht auf dem Stuhl neben mir liegen und im Schlaf leise schnurren... Auch wenn es nicht vorhersehbar war, dass Franz stirbt, habe ich das deutliche Gefühl, dass letztlich meine Entscheidung dazu geführt hat. Das fühlt sich richtig Scheisse an! Ich weiss noch nicht, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen kann, deshalb habe ich meinen Account hier nach längerer Zeit reaktiviert und hoffe, dass jemand etwas dazu schreiben mag. Hat jemand ähnliches schonmal erlebt? für jeden Input dankbar, Martin.