
Ihr Menschen seid doch schon sehr seltsame Geschöpfe...
Auf der einen Seite überfahrt ihr mich...
Ihr lasst mich völlig unbeachtet am Straßenrand liegen, obwohl ich so laut um Hilfe geschrien habe. Die ganze Nacht habe ich nach meinen Katzeneltern gerufen, die suchen mich doch bestimmt!
Warum kann ich eigentlich nicht aufstehen und meine Beine bewegen? Wisst ihr, warum mir mein Kopf und mein Mäulchen so schmerzen? Das liegt bestimmt an den zersplitterten Reißzähnen, die sich tief in meine Wangen graben.
Es tut mir alles sooo weh...!!! Wieso hilft mir denn niemand??? Jetzt liege ich schon ganz lange hier, ich bin schon ganz steif und schläfrig. Wenn ich jetzt einfach so meinen Kopf hinlege, geht es bestimmt ganz schnell. Müde genug bin ich ja, und viel Hoffnung habe ich auch nicht mehr, meine Stimme ist fast weg. Ganz weit entfernt höre ich ein Geräusch. War da eine Stimme? Benommen hebe ich den Kopf und lausche dem warmherzigen Klang, der mir sagt, dass jetzt alles gut wird. Eine Frau nimmt mich auf den Arm, ich denke noch: “Oh, nein, ich mache sie ganz schmutzig!“ Offensichtlich macht der netten Dame das nichts aus, denn sie spricht ganz lieb mit mir. Ich fühle mich wieder ein wenig besser, bin ganz ruhig und lausche der Stimme, die Hilfe verspricht. Nach einer ganz kurzen Weile werde ich bei Menschen abgegeben, die sich sofort um mich kümmern.
Ob die wohl wissen, wie man dieses Ding in meinem Nacken abliest? - Sie wissen es, ich höre meine Katzeneltern! Warum klingen die denn so komisch? Die weinen doch nicht etwa? Ich glaube, ich kann sie riechen, da kommen sie, und jetzt weiß ich, dass alles gut wird.
Emilio ist am 17.01.2010 geboren. Wir haben ihn von einer sehr netten Züchterin gekauft. Er hatte damals schon eine Behinderung, sein linkes Auge ist erblindet, das hat ihn und uns nie gestört. Wir haben uns ganz bewusst für einen Handicapkater entschieden.
Donnerstag, 25.11.2011
Der Tag begann völlig bedeutungslos. Ich fütterte mein Katzenrudel, und nichts wies auf das einschneidende Erlebnis hin, das unser Leben völlig durcheinander wirbeln würde.
Emilio, mein kleiner Nimmersatt, ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: „Wie kann ich am schnellsten alle Näpfchen leerräumen, ohne dass die anderen Pelzgesichter dazwischen funken?“. Diesen Sport betreibt er mit Hingabe, daher wurde ich schon leicht unruhig, als er zur nächsten Fütterung nicht auftauchte. Selbst Lockrufen, die er sonst immer befolgt (gibt ja auch ein besonderes Leckerchen), widerstand er. Als er auch abends nicht nach Hause kam, ließ unsere tiefe, innige Bindung mich spüren, dass etwas ganz Grässliches passiert sein musste. Kennt Ihr dieses subtile, unbestimmte Gefühl, das in einem bohrt und Magenschmerzen verursacht? Gedanken verselbstständigen sich, Erlebnisse und kleine Anekdoten mit unserer Fellnase kamen mir in den Sinn. Quälende Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf. Emilio, hilflos im Straßengraben liegend, mein Kater, der in einem Käfig eins Tierfängers sitzt und laut weint, weil er intuitiv weiß, dass er Furchtbares durchleben wird. Nein, das darf einfach nicht sein, wir machten uns auf den Weg.
Unsere ausgiebige Suche verlief ergebnislos und die folgende Nacht ohne einen Moment Schlaf.
Der Anruf von Tasso kam daher nicht unerwartet. Ich habe Emilio bei der Kastration chippen lassen. Die erstversorgenden Tierärzte haben den Chip ausgelesen, Tasso informiert und meinen Rückruf erbeten.
Spätestens in diesem Augenblick verknotete sich mein Magen zu einem unförmigen Etwas, die Gesichtszüge entgleisten mir und ich wurde aschfahl. Etwas zu ahnen oder es definitiv zu wissen, sind zwei Paar Schuhe. Im ersten Fall hofft man noch auf ein Versehen, auf eine andere Möglichkeit, wie in der Garage des Nachbarn eingeschlossen zu sein. Ich erinnere mich an eine Situation. Emilio blieb auch über Mittag weg, am Abend war er immer noch nicht zu Hause, ich lief durch unseren Garten und rief ihn laut. Bis zum Gartenhaus des Nachbarn. Auf mein Rufen erfolgt eine Antwort, ich öffnete die Türe und Emilio reckte und streckte sich, maunzte kurz und sah mich an mit den Worten. „Das wurde aber auch Zeit, hättest Du nicht eher kommen können“, im Blick, ein Gähnen unterstrich seine komische Mimik.
Im zweiten Fall fühlt sich das einfach nur schrecklich an.
Mein Mann hinterfragte gar nichts, sondern sagte:“Ich hole das Auto, nimm dein Handy mit, du kannst auf dem Weg mit der Praxis telefonieren.“ Während des Telefonates versuchte mir die behandelnde Ärztin einfühlsam mitzuteilen, dass mein Kater schwer verletzt abgegeben worden sei. Offensichtlich habe ein Auto ihn überfahren und es sähe gar nicht gut aus, ich solle mich auf das Schlimmste einstellen. Obwohl mir augenblicklich das Blut in die untere Körperregion sackte, ich anfing Rotz und Wasser zu heulen, wollte ich wissen, welche Verletzungen er genau hat. In meinem Kopf tauchten unwillkürlich furchtbare Bilder auf. Von überfahrenen Katzen, die blutverschmiert, mit zerschmetterten Gliedern einfach so daliegen. Worte wie Lähmung, keinerlei Schmerzreflexe, Dehydrierung und Unterkühlung fielen. In dem Moment dachte ich gar nichts mehr.
Wenige Minuten später trafen wir in der Praxis ein. Als man uns sofort in ein Behandlungszimmer führte, obwohl das Wartezimmer überfüllt war, ahnte ich schon, was für ein schlimmer Anblick mich erwarten würde. Da lag er, ein kleines Häufchen Elend, völlig zerzaust und erschöpft. Ich dachte noch: „Sieht doch gar nicht so schlimm aus, keine zerquetschten Gliedmaßen, und wo ist das Blut?“ Ich näherte mich vorsichtig und sprach ihn an. „Hey, mein Junge, was machst Du nur für Sachen?“. Er hob mühsam den Kopf. Erst da sah ich das ganze furchtbare Ausmaß. Der Mund war verformt, das Fell unterm Kinn eingerissen, die Zähne im Mäulchen zersplittert. Der mitleidige Blick der Tierärztin Frau Dr. Hellmann sprach Bände.
Emilios Hinterläufe und der linke Vorderlauf wiesen eine Parese (Lähmung) auf. Zum Test der Schmerzreflexe wurde Emilio im Bereich der Lähmungen vorsichtig mit einer Nadel gepiekt und mit einer medizinischen Zange angefasst – er schien es leider überhaupt nicht zu spüren!
Aus Emilios Sicht:
Erleichtert höre ich eine vertraute Stimme, die sich langsam nähert. Schnurr, diese streichelnde, liebkosende Hand, die mich federleicht berührt, würde ich aus Hunderten erkennen. Endlich… endlich kann ich mich fallen lassen und ausruhen. Mit einem Ohr höre ich den Zweibeinern zu, ein wenig aufgeregt hören sie sich ja schon an. Einschläfern? Was heißt denn das? Schlafen mag ich im Moment aber gar nicht. Ich höre Schritte, die sich nähern. Was passiert denn jetzt, wieso werde ich weggetragen, und weshalb geht mein Frauchen nicht mit??? Mein Herz hämmert. Nein, bitte lass' mich nicht alleine, ich habe doch solche Angst!!! Der dunkle Raum riecht aber gar nicht gut. Ich höre ein Summen und Klicken, das hört sich fast an wie dieses Blitzdings zu Hause, das Zweibeiner immer lächeln lässt. Jemand sagt: „So, Emilio, wir sind fertig, gleich bist du wieder bei deinem Frauchen.“ Vor lauter Aufregung hechle ich, hoffentlich tropfe ich nicht alles voll. Da, da sind sie!
Normalerweise würde ich jetzt lostrippeln, um ganz schnell bei meinen Menschen zu sein. Irgendwie geht das nicht. Obwohl ich mich bemühe, kann ich meine Beine nicht bewegen. Selbst beim Ablegen auf die wunderbar weiche, warme Decke kann ich nicht helfen. Nun ja, so ist es eben. Aber die Hauptsache ist, dass ich wieder bei meinen Katzeneltern bin. Selbst der kleine Pieks und das seltsame, lange Ding in meinem Arm stören mich nicht mehr.. Meine Menschen sind ganz nah, ich kann sie riechen und spüren, sie lassen mich bestimmt nicht mehr los...
Fortsetzung folgt
Ich bin, wie ich bin. Wer mich beugen möchte, der bricht.
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