Mittwoch Abend um 22:10 kam ich von der Spätschicht nach Hause und hörte nach dem Öffnen der Haustür hektische Fluchtgeräusche - scharren, rutschen (Flur und Küche haben Kachelfussboden) und danach heftiges Klappern der Katzenklappe. Naja, manchmal schnorren sich hier Nachbarskatzen durch... - Donnerstag Abend kam ich heim, legte Rucksack usw. ab, machte mir ein Bier auf, schmiss den Rechner in Gang und erblickte irgendwann später einen kleinen schwarzen Kater neben mir. Kurzer Blickkontakt, dann wieder wilde Flucht seinerseits. - Freitagabend war ich vorgewarnt, da lag der Bursche ganz gemächlich auf meinem Sofa und zwinkerte mich freundlich an. Ich zwinkerte zurück, hielt die Hand hin, ein Schnuppern und unmittelbar darauf eine leidenschaftliche Begrüssung, als wenn wir uns schon ewig kennen. Offenbar hatte er beschlossen, hier einzuziehen, denn er zeigte mir gleich darauf den Weg zur Küche, maunzte vor den leeren Futternäpfen und führte um meine Beine einen Beschwörungstanz der unwiderstehlichsten Sorte auf.
Danach liess er sich willigst kraulen und ich erschrak: so eine magere Katze habe ich noch nie gesehen. Buchstäblich nur Fell und Knochen, der arme Kerl! Offenbar nur ganz knapp dem Hungertod entgangen. Die nähere Untersuchung (von ihm wohlig genossen) ergab: ein sehr jung wirkender Kater, etwas struppig und ganz erbärmlich abgemagert. Das grösste an ihm sind sein Kopf und seine Bommeln! Was für ein Gemächt in Relation zur Körpergrösse!!! Mein bisheriges Fazit: der Kater war wohl in seinem ersten jugendlichen Liebesrausch irgendwie in meine Gegend geraten, ist hier (ich lebe in einem Gewerbegebiet) für längere Zeit irgendwo eingeschlossen worden (ich hoffe unabsichtlich), konnte sich kurz vorm Verhungern befreien, ist Felix und/oder Bageera begegnet, ihnen gefolgt und hat so meinen Haushalt zunächst als Futterquelle und dann als akzeptables neues Heim entdeckt und annektiert.
Der Kater legt ein ungewöhnlich zivilisiertes Verhalten an den Tag. Folgt mir, seit er sich meiner Unterwerfung unter seinen Willen sicher ist, auf Schritt und Tritt und hat meine Katzen mit seiner jugendlich-unbefangenen Art dermassen überrumpelt, dass sie ihn widerstandslos gewähren lassen. Felix jagt Konkurrenten normalerweise erbarmungslos vom Hof, aber der Kleine lässt ihm dazu gar keine Zeit, ignoriert Knurren und Fauchen und schnuppert einfach freundlich drauflos. Meine beiden beobachten ihn fasziniert und grosse bunte Fragezeichen zieren die Region etwa zwei Zentimeter über ihren Scheiteln. Sowas haben sie auch noch nicht erlebt... Der Kleine bewegt sich hier ganz unbefangen, drängelt sich vor beim füttern, kackt ihre Klos voll, liegt auf ihren Stammplätzen und gebärdet sich, als wäre er der lang erwartete Messias in unserer kleinen bisher unerlösten Welt.
Samstag - ich hatte frei - habe ich dann sämtliche Tierheime der Umgebung angemailt, zudem die Polizei, Katzensuchdienst usw. und so der Welt kundgetan, dass hier ein ganz ungewöhnliches Exemplar von Katerchen auf seine Abholung wartet. Im tierschutzverzeichnis.de (eine ganz ausgezeichnete Seite übrigens!) erst eine Fundanzeige aufgegeben, dann eine Suchanzeige gefunden, die mich zu 95% sicher sein liess, dass er der dort gesuchte sein muss. Passte alles, Beschreibung, Foto, Örtlichkeit (Achim), unkastriert (was an sich schon selten ist!). Auf meinen Anruf erschien auch eine wirklich nette Familie, aber leiderleider ist "mein" Kater nicht der richtige. Sie hatten einen unbestechlichen Zeugen dabei, einen Hund, mit dem der dort vermisste Kater aufgewachsen war und den er sich untertan gemacht hatte. Nunja, die Begegnung zwischen den beiden liess keine Wiedererkennung erkennen, eher im Gegenteil, und noch einige Details sprachen dagegen, so dass die Familie sichtlich enttäuscht wieder heimfuhr. Schaaaade! Hätte mich wirklich gefreut, diesem Wundertier so schnell wieder nach Hause helfen zu können.
Ok, ich versprach dem Katerchen, dass ich ihm zu Diensten stünde bis seine eigentlichen Untertanen ausfindig gemacht sind. Er erklärte sich einverstanden unter der Bedingung, dass er hier auf den Teppich kotzen und höchst wunderliche Gerüche verbreiten würde (so ein Katerchen, dessen Verdauungssystem gerade wieder hochgefahren wird, gibt sonderbare Substanzen und Dämpfe von sich). Zudem habe ich unbegrenzte Mengen an zerkleinertem Nassfutter und Katzenmilch bereitzustellen, meinen Schoss frei und sauberzuhalten und aufmerksam zuzuhören, denn er hat eine Menge zu erzählen. Zudem darf ich bis auf weiteres nicht mehr alleine aufs Klo, sonst wird die Badezimmertür niedergekratzt.
Vorgestern Abend hatten wir Session. Ich mache Musik, spiele Schlagzeug und fürchtete ein bisschen, dass er wieder auszieht, wenn er diesem Radau ausgesetzt würde. Aber ganz im Gegenteil: erstmal wurden alle Bandmitglieder begutachtet, jeder musste mal kraulen, und als wir dann loslegten (zunächst vorsichtig, mit Jazzbesen etwas Dire-Straits-artiges intonierend) lag er auf meinem Schoss und beobachtete interessiert, was ich/wir da machten. Da waren wir noch keine 24 Stunden miteinander bekannt! Ich habe noch nie zuvor mit einer Katze auf dem Schoss Schlagzeug gespielt! Dann liess er sich auf SEINEM Sessel nieder, eigentlich Gitarrist Jörgs Stammplatz (der wich notgedrungenerweise auf einen wesentlich härteren und kleineren Barhocker aus) und liess sich nicht weiter irritieren. Wir steigerten die Lautstärke nach und nach, das machte ihm gar nichts aus. Irgendwann gab es eine Rückkoppelung durch eins der Mikrofone, das mochte er nicht so (ist ja auch Scheisse) und zog sich in die Küche zurück. Später waren wir recht heftig am rocken, da entschloss er sich, seinen Sessel (auf dem inzwischen Jörg sass) wieder in Gebrauch zu nehmen und liess sich hinter Jörg nieder. Den ganzen Rest der Session sass er dann dort und lauschte der Musik seines neuen Hoforchesters, egal wie laut wir spielten. Zuweilen schlief er sogar dabei, wenn ich recht beobachtet habe! Ehrlich - ich spiele seit 32 Jahren Schlagzeug, lebe seit 26 Jahren mit Katzen zusammen und habe schon so manches mit beidem erlebt, aber sowas noch nicht. Habe auch noch nirgends gehört, dass sich sowas zugetragen hat. Ich bin 110% verblüfft über diesen Kater! - Taub ist er nicht (wäre ja eine Erklärung), denn er reagiert auf Fingerschnippen mit Ohrbewegungen und das Öffnen der Kühlschranktür lässt ihn in Lichtgeschwindigkeit antanzen. Und er "spricht" mit mir und hört auch zu. Total witzig, wie er seine Stimme einzusetzen weiss. Und wenn ich was zu ihm sage, richtet er die Ohren (nicht immer auch die Augen) auf mich. Was für ein WUNDERKATER!!! - Unsere Band heisst Kilians Väter und Die Martins, und da ich einer der wenigen Beteiligten bin, die keinen Sohn namens Kilian haben, taufte ich den Kater für die Zeit seiner Anwesenheit hier auf den Namen Kilian, was er sich gefallen liess. - Jetzt gerade, er pennt auf seinem Sessel, habe ich ihn kurz angesprochen mit seinem Namen - er hob den Kopf und schaute mich an. "Ja bitte?" Einmal gähnen und weiterpennen...
Naja, ich habe das Tierheim meines Vertrauens - Arche Noah Brinkum, ich kann da nicht genug Werbung für machen, einfach klasse diese Einrichtung und ihr Team - gebeten mal zu kucken, ob der Kater einen Transponder intus hat und seinen Allgemeinzustand mal zu beurteilen. Ich werde dort im Laufe der Woche mal mit ihm vorsprechen.
Ich unternehme alle mir möglichen Anstrengungen, ihn zu seinen Menschen zurückzuführen. So grandios und intelligent wie er drauf ist, muss er aus liebevollem Hause stammen und irgendwo schmerzlich vermisst werden. Ich wünsche ihm sehr, dass er wieder heimfindet. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlt, wenn eine geliebte Katze verschwindet. Und ich weiss, dass ein Kater mit solchen Eigenschaften einen unschätzbaren Wert darstellt (nicht in Euro, ich denke, Ihr wisst, wie das gemeint ist).
Inzwischen ist es Montag Mittag. Kilian liegt vollgefressen auf der Fensterbank und sonnt sich. Wenn ich ihn anspreche schnurrt er aus allen Poren. Kaum zu glauben, was für Mengen Futter in so einen kleinen Kerl hineingehen. Heute hat er erstmals ein paar Happen Trockenfutter geknackt. Anfangs hat er die nicht kleingekriegt. Ein gutes Zeichen, finde ich. Auch in dieser Nacht hat er nicht erbrochen und seine Arbeitsspuren in den Katzenklos nehmen langsam Form an (meine Katzen benutzen die Dinger kaum, da muss schon richtig fieses Scheisswetter sein, dass sie sich dazu herablassen, Indoorpooping zu praktizieren). Und, was mich besonders freut, er putzt sich, das habe ich bisher nicht bei ihm beobachten können. Sein Mundgeruch kommt mir nicht mehr so heftig vor. Er scheint sich prächtig zu erholen.
Wenn die Tür auf ist, schaut er hinaus, aber meines Wissens hat er seit Freitagabend das Haus nicht verlassen. Er möchte wohl kein Risiko eingehen, wieder verschütt zu gehen. Vielleicht weiss er aber auch, dass ihm ein langer Heimweg bevorsteht und möchte sich erstmal aufpäppeln, ehe er sich auf den Weg macht? Zutrauen würde ich ihm solche Überlegungen.
Tja, nun bin ich gespannt, wie es weitergeht mit ihm. Mit Felix und Bageera habe ich besprochen, dass wir ihn aufnehmen, wenn er nicht zu seinen Menschen zurückgeführt werden kann. Bageera, die zur Eifersucht neigt, hat sich der Stimme enthalten, aber Felix ist einverstanden. Er wünscht sich sowieso schon lange einen Spielkameraden seines Temperamentes.
Ich werde an dieser Stelle weiter berichten und freue mich über Tipps, Kommentare und Berichte von UserInnen, denen ähnliches schonmal wiederfahren ist.