Abschied von Bagheera

      Abschied von Bagheera

      Grüss Euch,

      vorweg gesagt: es ist lange her, dass ich hier im Forum mal recht aktiv war. Nun ist meine Bagheera verstorben, und ich habe ihr einen Nachruf verfasst und diesen per Mail an all ihre Freunde geschickt. Seinerzeit haben hier etliche User Anteil an ihren kleinen Abenteuern genommen. Wer weiss, vielleicht ist ja noch der oder die eine hier zugange und erinnert sich ein bisschen an sie und mich... Deshalb kopiere ich ihr kleines Requiem hier mal rein. Und auch, wer von ihren Vorgeschichten nichts weiss hat vielleicht sowas wie Interesse an ihrem und meinem Schicksal...

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      Grüss Euch, Ihr Lieben

      Letzte Nacht um 2:05 ist Bagheera gestorben.

      Gestern habe ich sie nach langem Suchen tief im Bettkasten versteckt
      gefunden. Am frühen Nachmittag kam sie rausgekrochen. Futtern wollte sie
      nicht mehr. Sie war dann fast den ganzen Rest des Tages mit mir auf der
      Terasse und ich war gut damit beschäftigt, ihr die Fliegen vom Leib zu
      halten. Zum Einsetzen der Dämmerung - Hauptgeschäftszeit für Katzen -
      ist sie nochmal mühsam losgewackelt, hat noch eine kleine Revierrunde
      gemacht.

      Um 23:00 fand ich sie im Eingang der Firma hier, das Gesicht an die
      Wand gepresst und den Eindruck absoluter Erschöpfung und
      Hoffnungslosigkeit machend. Als sie mich bemerkte gab sie mir freundlich
      den Befehl, mich niederzulassen und krabbelte dann mit letzter Kraft
      auf meinen Schoss. Das war ihre letzte bewusst ausgeführte Bewegung, ihr
      letzter Wille sozusagen. Drei Stunden sassen wir dann da, haben einen
      ausführlichen Rückblick auf unser Zusammenleben gemacht und uns
      voneinander in gegenseitiger Liebe und Dankbarkeit verabschiedet. Sie
      hat dabei schwach geschnurrt, unhörbar, aber spürbar beim streicheln.
      Ihr Atem wurde ganz lansam immer schwächer, ich war irgendwann im wahren
      - nicht im übertragenen Sinne - angepisst von ihr, aber das war egal
      und okay angesichts der besonderen Situation. Um2:05 habe ich es nicht
      mehr augehalten, denn ich musste auch mal dringendst schiffen. In dem
      Moment, wo ich nach ihr gegriffen habe, um sie vorsichtig abzusetzen hat
      sie mit einem leisen Seufzer ihren Körper verlassen. Heute Vormittag
      habe ich sie dann in ihrem Lieblingskarton hinterm Haus begraben, an
      einer Stelle, die sie mir in ihren letzten Tage selbst gezeigt hatte.

      Sicher bin ich sehr traurig. Nach zwanzig Jahren bin ich vorhin das
      erste mal abends nach Hause gekommen, ohne von mindestens einer Katze
      begrüsst zu werden. Unser Ritual - Katze auf den Arm nehmen, reintragen,
      füttern, anschliessend gemeinsame Fellpflege... - fehlt mir sehr. Das
      ist kein Nach-Hause-kommen, wie ich es gewohnt bin und geliebt habe.
      Doch ich weiss auch, dass meine Trauer schwer von Selbstmitleid
      mitgeprägt ist. Dass Bagheera stirbt war unausweichlich, und wie es
      stattgefunden hat war absolut richtig. Sie ist eines natürlichen Todes
      gestorben, einfach an Altersschwäche (natürlich mit allen von aussen
      betrachtet auch manchmal schwer auszuhaltenden Begleiterscheinungen in
      den letzten Tagen), und sie hat sich dabei ganz mir anvertraut. Wie kann
      man "schöner" sterben als in innigem Kontakt mit einem geliebten
      Mitgeschöpf?

      Was Bagheera betrifft gibt es wirklich nichts zu beweinen. Sie ist
      21 Jahre und 10 Monate alt geworden! Sie war in der ganzen Zeit nie
      wirklich krank oder verletzt! Angst, Heimaufenthalte, dramatische Änderungen der gewohnten Lebensweise
      musste sie auch nie erdulden. Sie genoss ihr langes
      Katzenleben, bekam nur Futter, was sie auch wirklich mochte. Alles, was
      sie sich nicht mit sichtbarer Begeisterung sofort einverleibte wurde nie
      wieder gekauft. Sie konnte sich stets frei bewegen, hatte immer ein
      Revier zur Verfügung, dessen Grösse sie selbst bestimmen konnte. Sie war
      nie eingesperrt, konnte immer selbst entscheiden ob rein oder raus,
      wohin und wie lange sie Ausgang haben wollte... Ihr Leben war
      ungewöhnlich lang, gesund und frei. Sie hatte ein rundum glückliches und
      selbstbestimmtes Katzenleben, wurde weder reglementiert noch
      verhätschelt. Ich bin sicher, sie war in jeder Hinsicht einverstanden,
      sorgenfrei und lebensfroh zugange.


      Und sie war eine grosse Jägerin! Sie wird vorsichtig geschätzt so
      etwa 200 Mäuse im Jahr gefangen haben (Durchschnittswert, errechnet aus
      der leidenschaftlichsten langjährigen Jagdtätigkeit früher, wo sie
      mehrmals täglich Beute nach Hause brachte auf der einen und den letzten
      zwei Jahren ausschliesslich "künstlicher Ernährung" auf der anderen
      Seite der Extreme). Dazu etliche Dutzend Jungkaninchen, wenn Saison war.
      Und zwei Maulwürfe... Dass sie alles bei mir ablieferte zeigt, wie
      wichtig ihr die Jagd war und welche Befriedigung sie daraus zog. Ihr
      ganzer "Berufsweg" war eine ununterbrochene Aneinanderreihung von
      Erfolgserlebnissen. Sie war selbständige Unternehmerin mit stets
      hervorragenden Bilanzen.


      Zu ihren grossen Verdiensten muss unbedingt auch ihre pädagogische
      Mitwirkung an der Resozialisierung des K.W. gezählt werden. Dem hat sie
      beigebracht, wie man Katzen zu gehorchen hat und ihm geholfen, von einem
      cholerischen Grobian zu einem adretten Mann zu werden, der den Damen
      freundlich die Tür(en) aufhält, wenn sie darum ersuchen...

      Nicht zuletzt darf ich mich mehr als glücklich schätzen, von ihr
      als Objekt ihrer ganz grossen Katzenliebe erwählt worden zu sein. Sie hat stets erfreut auf mich reagiert - so ging es
      mir auch. Wann immer sie mir ansichtig wurde freute ich mich aufrichtig
      und reflexhaft, es ging gar nicht anders. Wenn ich von der Arbeit kam
      hat sie mich (ausser bei unannehmbarer Witterung) immer am Tor erwartet
      und alle Anzeichen von Glück gezeigt, dass ich nach Hause komme.
      Bis auf die letzten Wochen, wo sie nicht mehr schmerzfrei vom Bett
      runterspringen konnte (raufkommen war nicht so das Problem) ist sie
      jeden Abend innerhalb weniger Minuten zu mir gekommen wenn sie merkte,
      dass ich ins Bett ging und hat mich erfolgreich in den Schlaf
      geschnurrt. Das war für sie offensichtlich ein Höhepunkt des Tages.
      Andrerseits hatte sie keine Hemmungen, mich durch heftig brummendes
      Lecken an der Nase zu jedem von ihr gewünschten Zeitpunkt aufzuwecken,
      weil sie jetzt dringend der Fellpflege oder der Fütterung bedurfte...

      Naja, und durch sie konnte ich in den letzten zwei Jahren herumprahlen,
      dass ich als alter Mittfünfziger-Sack eine 20-jährige Freundin habe, mit
      der ich die ganze Nacht schlafen würde, und zwar jede...

      Wieder ernsthafter werdend hat Bagheera mir durch ihre pure
      Anwesenheit und Zuwendung oft geholfen, Verstimmungen aller Art besser
      auszuhalten. Sie hat es gespürt, wenn es mir - wie und warum auch immer -
      schlecht ging und hat sich dann besonders um mich gekümmert. Und jeder
      Frust, Angst, Unsicherheit, Selbstzweifel wurde gelindert, wenn Bagheera
      ihre therapeutischen Talente einsetzte. Sie hatte ein gutes Gespür für
      meine Befindlichkeiten und zeigte aktives Interesse daran, mich in jeder
      Lebenslage bei Laune zu halten. Durch sie konnte ich oft meine weniger
      angenehmen Persönlichkeitsmerkmale besser aushalten, und durch ihre
      Anwesenheit (man schubst ja nicht eine Katze vom Schoss ohne triftigen
      Grund) hat sie mir zu mancher Denkpause verholfen, die in
      selbstrelativierender Hinsicht oft nützliche Ergebnisse zeitigte.

      Und dann waren da noch die häufigen meditativen Zustände für uns
      beide, wenn sie einfach bei mir war, nichts im Sinn hatte als
      gestreichelt zu werden und zu schnurren, sich ihre friedlich-freundliche
      Stimmung auf mich übertrug und alle Gedanken usw. einfach in einer Art
      Tagtraum zur Ruhe kamen. Das fand ich extrem entspannend und angenehm.
      Wir sind dann manchmal in mentalen Zwischenzuständen gelandet, die eine
      Ahnung von dem, worum es wirklich im Leben geht beim
      wieder-zu-sich-kommen generierten. Bagheera war auch in spiritueller
      Hinsicht eine grossartige Partnerin und Verbündete.

      Der Weg vom ersten Kennenlernen, als Bagheera ihre noch
      kindlichen Kapriolen auf anmutigste und höchst sportliche Weise
      aufführte bis zum Abschied letzte Nacht, als sie mich in ihrer
      schwächsten Stunde zum Sterbebegleiter berufen hatte -> welch ein
      Vertrauensbeweis, welch eine Ehre... war lang und durchweg schön. Ich
      bin froh und dankbar über die Begegnung mit ihr. Und ich bin sicher, ihr
      ging es ähnlich. Wir haben miteinander harmoniert, waren nie (nie!)
      böse aufeinander. Ich wüsste nicht, dass mich Bagheera je angefaucht
      hätte oder sowas, und ich bin auch stets sorgsam und respektvoll mit ihr
      umgegangen. Das war überhaupt nicht schwer oder kompliziert, und ich
      nehme als Lehre von Bagheera für meinen weiteren Lebensweg mit, dieses
      Verhalten weiterhin gegenüber jedem und allem praktizieren zu wollen.
      Nichts und niemandem böse sein, so wie es Bagheera vorgelebt hat, ist
      vielleicht die Lösung für alle Probleme und die Antwort auf alle
      Fragen...

      Lieber Gruss an Euch, Martin.