Mach’s gut, Knut!
Lieber kleiner Knut! Wo bist Du jetzt wohl? Spielst Du im Regenbogenland mit den anderen Katzen?
Ich denke zurück an den Tag, als Du zu uns kamst. 2,3 Monate alt vielleicht. Ausgesetzt von irgendjemanden, der Dich einfach in der Nähe der Katzen unseres Nachbarn gesetzt hat, vielleicht in der Annahme, Du könntest dich dort eingliedern und eine mehr oder weniger fällt nicht auf. Vermutlich einfach am Straßenrand aus dem Auto geworfen, denn Du kamst aus dem Graben hervor, hattest aber wohl Angst vor den anderen Katern und Katzen. Wir sahen Dich und gaben Dir zu fressen und zu trinken. Mehr wollten wir eigentlich nicht, denn nach dem Tod unseres geliebten Katers „Düsentrieb“und aus anderen Gründen kam ein Haustier für uns nicht infrage. Wir dachten, mit der Zeit würdest Du dich doch den anderen anschließen. Doch Du kamst uns auf unser Grundstück hinterher, voller Vertrauen. Wir ließen Dich draußen, stellten noch Futter hin und einen Karton zum Schlafen, denn es war ja August und noch warm. Jedoch immer, wenn wir aus dem Fenster sahen, schauten wir direkt in Deine Augen, die zu sagen schienen. Wo seid Ihr? Nehmt mich mit. Wir haben Dich dann zu uns hereingeholt – nur für eine Nacht – am anderen Tag wollten wir Dich zum Tierheim bringen. Ein provisorisches Katzenklo hergerichtet, ein Kissen mit Decke im Gästeklo, ein Schälchen Milch. Als wir morgens nach Dir sagen, lagst Du oben im Wäschekorb auf unseren Sachen, selig zusammengerollt. Und hattest Dein Geschäft im Katzenklo gemacht, Deine Milch getrunken. Schon in diesem Moment wussten wir, Du bleibst bei uns. Schneeweiß, mit wunderschönen blauen Augen, wir nannten Dich Knut. Und wir fragten uns, wie man ein so wunderbares Geschöpf einfach aussetzen kann? Die Frage wurde uns beantwortet, in dem wir in den nächsten Tagen feststellten, dass ihn kein noch so lautes Geräusch, sei es Staubsauger oder Wäschetrockner, aus der Ruhe bringen konnten. Man hat ihn wohl verstoßen, weil er taub war. Der Tierarzt bestätigte dies schließlich und wir wussten, dass das Leben mit Dir etwas schwieriger als mit einer gesunden Katze sein würde. Wir kauften Spielzeug, Kissen, Kratzbretter, alles, was ein Katzenherz begehrt. Mit viel Geduld haben wir Dir einige Kommandos mit Hilfe von Zeichensprache beigebracht, die Du auch verstanden hast. Wir gaben Dir Liebe und Zuneigung und jede Menge Streicheleinheiten. Immer mehr, immer schönere Rituale kamen hinzu: Wir gingen nach draußen, aber nur in unserem eingezäunten Garten, Du bliebst auch immer in Sichtweite, von allein. Später dann, als Du neugieriger wurdest, spaziertest Du auch mal ohne uns ums Haus. Kamst aber immer wieder nach kurzer Zeit durch die offene Haustür wieder herein.
Du bist morgens mit Herrchen aufgestanden, sahst ihm durch die Treppengitter nach, wenn er zur Arbeit ging. Manchmal sprangst Du im Zickzack im Haus herum, die Ohren angelegt, so dass Du aussahst wie ein Alien. Auf dem Dachboden warst Du besonders gern. Treppe rauf und dort toben nach Lust und Laune. Manchmal trugst Du im Maul „Beute“ mit herunter, ein altes Stofftier unserer Tochter, oder einen Tannenzapfen vom Weihnachtsschmuck und spieltest damit. Du mochtest nicht gern allein sein. Wenn Du keinen von uns gesehen hast, hast Du gemaunzt. Und wenn wir zurückkamen, freutest Du Dich und fordertest energisch ein Leckerli...
Wenn wir badeten, warst Du immer dabei. Du spaziertest um den Rand herum, schlugst nach dem Schaum. Auf der Küchenbank, einem Deiner Lieblingsplätze, machtest Du Dich oft so lang, dass kein anderer mehr Platz fand. Ich könnte jetzt noch viele, viele liebenswerte Eigenarten aufzählen, die Dich so unvergleichlich gemacht haben.
Seit gestern ist unser Leben ärmer geworden, denn da hast Du uns für immer verlasen. Warum nur? Das fragen wir uns seitdem in jeder Minute, jeder Sekunde. Wie immer wolltest Du nach draußen. Es war dunkel, warum nur haben wir nachgegeben? Wenn wir nur geahnt hätten, was passiert. Hätte, hätte. Du kamst nicht wieder zu Deiner üblichen Zeit, wir wurden unruhig, sahen nach, fanden dich aber nicht. Auf die Straße haben wir nicht geschaut, Du bist ja nie dort hin gelaufen. Als wir den Müll in die Garage brachten, hielt vor der Gartenpforte ein Auto an. Ein Bekannter, der ein paar Häuser weiter wohnt, rief mir zu. Dort vorne ist ein Katze überfahren worden. Als er den Satz aussprach, wusste ich schon Bescheid. Ich schrie noch: Bitte, bitte sag, dass es keine weiße ist. Er meinte, ich glaube, doch und da wusste ich, dass du es warst. Ich rief nach meinem Mann, wollte dann zu Dir gehen und wollte doch nicht, um keine Gewissheit zu erlangen. Dann nahm ich Deinen noch warmen Körper von der Straße und sah das Blut auf dem Asphalt. Ich trug Dich ins Licht, wollte nicht wahrhaben, was ich sah. Deine offenen Augen, deine geöffnete Schnauze mit dem Blut. Das konnte nicht wahr sein, gleich würde ich aufwachen und erleichter feststellen, dass ich alles nur geträumt habe. Dann ging alles schnell, viel zu schnell. Herrchen und ich legten Dich in „Deinen“ Karton, doch was sollten wir tun. Wir wollten Dich nicht eine ganze Nacht lang in einem Karton lassen und Dich dann am nächsten Morgen anschauen und die ganz Qual, die uns erwartete, noch vor uns haben. Trotz des kalten Windes und der Temperaturen haben wir Dir in Deiner Lieblingsecke des Gartens eine Stätte gegraben. Wir haben Dich in Deine Decke gelegt und Dir Dein Lieblingspielzeug, den kleinen Eisbären, der so hieß wie Du, mitgegeben. Dort liegst Du jetzt, für immer mit uns verbunden, auch wenn wir nur eine sehr kurze Zeit zusammen hatten. Dafür war diese Zeit so wunderschön. Was so furchtbar schwer für uns ist, dass wir uns die Schuld geben. Warum haben wir nicht besser auf Dich aufgepasst? Immer wieder die quälenden Fragen, was wäre wenn: Wenn man 10 Minuten früher nach Hause gekommen wäre, wenn man 1 Stunde später gekommen wäre. Vielleicht hätten wir Dich nicht mehr rausgelassen. Wenn wir Dich früher gesucht hätten?
Auf all diese Fragen werden wir nie eine Antwort erhalten. Das Schicksal hat es so gewollt, die gleiche Macht, die Dich zu uns geschickt hat, gerade zu uns, hat Dich auch wieder fortgenommen. Wir müssen weiterleben mit all den Fragen und all den Vorwürfen gegen uns selbst. Ich würde so viel darum geben, die Zeit zurückdrehen zu können, so furchtbar viel. Aber es ist nicht möglich. Unser einziger Trost ist es, dass wir Dir eine schöne Zeit schenken konnten, genauso wie Du uns! Bitte verzeih uns, dass wir nicht besser auf Dich aufgepasst haben.
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Nicht verzeihen können wir aber dem Autofahrer, der Dich überfahren hat und es nicht für nötig gehabt hat, anzuhalten und Bescheid zu sagen. Unser Dorf ist klein, Du lagst direkt vor unserem Gartenzaun, viele wussten, dass Du zu uns gehörst, und wenn nicht, hätte man es sich denken können. Wenn der oder diejenige nur geklingelt hätte, vielleicht hättest Du den Hauch einer Chance gehabt, wären wir mit Dir sofort losgefahren in eine Klinik. Aber er oder sie hatte entweder Angst vor Vorwürfen oder ihm war ein Tierleben einfach nichts wert. So bleibt uns nur, ihn oder sie zu verachten, zu verfluchen, zu hassen, so hart es auch klingt.
Unser Schmerz ist groß, so groß, dass ihn wahrscheinlich nur die wenigsten verstehen werden. Natürlich, sie kannten Dich nicht so, wie wir. Du fehlt uns so sehr, bei jedem Schritt, im Moment kreisen alle Gedanken nur um Dich. Wir sehen Dich überall, wir schauen und denken, Du kommst jeden Moment um die Ecke und wir können Dich drücken und streicheln. Wir funktionieren nur noch, alle Handgriffe, die Arbeit etc. sind „automatisch“, müssen an unsere Tochter denken, die auch nicht gesund ist, die unsere Traurigkeit nicht nachvollziehen kann, und uns braucht. Es ist so schwer, sich zusammenzureißen, zu lächeln. Vielleicht spürst Du das in Deinem Regenbogenland. Man sagt ja, die Zeit heilt alle Wunden, ich hoffe nur, auch unsere. Vielleicht ist es eines Tages soweit, dass wir Fotos von Dir anschauen können, ohne zu weinen. Von Dir zu sprechen, ohne dass einem die Stimme wegbricht.
Wir hoffen, dass, sofern diesen Brief viele lesen, - vielleicht – in bewohnten Gebieten nicht so zu rasen. Und, sollten sie ein Tier überfahren, nicht einfach Gas zu geben und weiterzufahren. Die Familien, die zu diesem Geschöpf gehören, werden es danken.
Machs gut, Knut
Petra und Jens Westphal, Auufer
Friedel1110